Selbstversorgung und Kleinsthöfe
Das kleinstrukturierte Wendland ist ein interessantes Revier für Menschen, die auf ihrer Scholle möglichst autark leben wollen. Früher war es normal, dass jede Familie sich von Gemüse aus eigenem Anbau ernährte. Die Liegenschaften um die Dörfer waren gerecht aufgeteilt, jedem Hof standen Flurstücke derselben Bodenqualität zu. Auf geeignetem Grund lagen die "Kohlgärten", Parzellen, in denen jede Familie ihren Gemüseacker pflegte.
Noch immer wurden in vielen Bauerngärten die eigenen Gemüsebeete gehegt, als in den siebziger Jahren die ersten jungen Stadtbewohner gegen ein System rebellierten, das als ausbeuterisch und entfremdend wahrgenommen wurde. Sie kamen aufs Land, gründeten Kommunen, zogen ihre Möhrchen und zeugten Kinder. Das Wendland gehörte zu den ersten dieser sozialen Experimentierfelder.
Seither kamen immer mehr Menschen, die am Landleben schätzen, dass man sich eine gewisse Autarkie aufbauen kann. Manche, wie der Schafbauer Giselher Kühn entdeckten eine interessante Marktnische: Der inzwischen überregional bekannte Kulttropfen "White Wendish", ein süffiger Likör aus Schafsmilch, ist das wichtigste Standbein des Biobauern geworden, der sich nicht in den üblichen landwirtschaftlichen Teufelskreis aus Wachstum und Verschuldung begeben wollte.
Andere sind mit ihren Tätigkeiten sehr vielfältig aufgestellt: Ute und Marcel Luft aus der IT- und Medienbranche kauften 2006 einen brachliegenden Hof und begannen, neben ihrer Selbständigkeit, eine umfassende Selbstversorgerwirtschaft aufzubauen. Neben dem Gemüseanbau tummelt sich auf Hofplatz und Streuobstwiese ein vielfältiger Zoo an Schweinen, Schafen, Ziegen, Kaninchen und allerlei Geflügel. Und zwar nicht irgendwelche Tiere, sondern ausgewählte Rassen mit besonderen Qualitäten. Die Gotländer Pelzschafe liefern wunderschöne feinlockige Pulliwolle, die robusten Bunten Bentheimer Schweine schmackhaftes, marmoriertes Fleisch. Weitere alte und gefährdete Haustierrassen erfahren hier und auf vielen weiteren Höfen im Wendland Wertschätzung und werden vielfältig genutzt. Die Lufts und eine wachsende Anzahl weiterer Höfe haben sich der Bewegung der "Archehöfe" angeschlossen. Das Ziel ist, die Artenvielfalt und damit den Genpool dieser Rassen zu erhalten, die durch das wirtschaftliche Raster der konventionellen Landwirtschaft gefallen sind. In der Zwischenzeit hat Ute Luft sogar ein Business mit der Verwertung der regionalen Wolle aufgebaut. Aus dem Wollkleid vom Pommerschen Landschaf und Coberger Fuchs entstehen Strickgarne, Loden, Kissen und Betten. Im Ladengeschäft der "Elbwolle" in Lüchow kann man stöbern und Handarbeitstechniken mit extradickem Garn und eigens dafür angefertigten Gerätschaften ausprobieren.
Zur Kulturellen Landpartie ist der Hof der Lufts in Weitsche einer der Hotspots. Und hier kann man sich anschaulich davon überzeugen, dass die Selbstversorgung, die hier praktiziert wird, wenig zu tun hat mit einem romantisierenden "Zurück zur Natur". Sondern vielmehr mit der Nutzung natürlicher Ressourcen und der Schaffung sinnvoller Kreisläufe, der Schöpfung hochwertiger Lebensmittel und Kleidung und vor allem Lust am Ausprobieren, Verbessern und immer wieder neuen, eigenen Kreationen. Lebensqualität, die man mit Geld nicht kaufen kann.
Und auch die Kommunelandschaft gedeiht, man könnte fast von der "Kommune 2.0" sprechen, als zukunftsfähiges und notwendiges Wirtschaftsmodell. Die noch junge Kommune Güstritz etwa, gegründet 2010, baute eine Community Supported Agriculture – zu deutsch Solidarische Landwirtschaft – auf. Nach kurzer Zeit hatte sie 60 Mitglieder, die das Projekt finanziell tragen und verlässlich mit Lebensmitteln versorgt werden. Die direkteste Quelle nach der Selbstversorgung. Und ähnlich krisenfest.