Kulturgeschichte
Lebendige Eindrücke von der Kulturgeschichte des Wendlands erhält man über die dreizehn sehr unterschiedlichen Museen im Wendland. Im Archäologischen Zentrum Hitzacker, dem ersten bronzezeitlichen Freilichtmuseum auf dem Platz der ersten Siedler vor 4.000 Jahren kann man nicht nur studieren, wie damals die hallenartigen Langhäuser aus Holz, Lehm und Stroh gebaut wurden, sondern an Aktionstagen selbst in das damalige Leben und Handwerk eintauchen. Dorf-, Stadt- und Flussgeschichte der vergangenen Jahrhunderte präsentieren Museen in Lüchow, Dannenberg, Hitzacker, Wustrow, Clenze und Vietze. Zwei Museen in Schnackenburg und Göhr beschäftigen sich mit der Geschichte der deutschen Teilung, war doch das Wendland über Jahrzehnte an drei Seiten zur ehemaligen DDR hin hermetisch abgeriegelt. Die existenzielle Bedeutung der Feuerwehr auf dem Land wird deutlich im Feuerwehrmuseum Neu Tramm mit einer der deutschlandweit umfangreichsten Sammlungen, darunter etliche noch fahrtüchtige Feuerwehr-Oldtimer. Über das Naturum Göhrde tauchen wir ein in die Ökologie und Geschichte von Norddeutschlands größtem zusammenhängenden Mischwaldgebiet. Das Stones Fan Museum Lüchow schließlich, betrieben vom größten lebenden Fan der Rockband, ist mit der Sammlung authentischer Rockgeschichte vielleicht die skurrilste Blüte im Wendlands bunter Kulturlandschaft.
Das Wendland wurde im 8. Jahrhundert von slawischen Stämmen besiedelt, die erst spät christianisiert wurden. So findet man auch heute noch die später gebauten Kirchen eher außerhalb der Rundlingsdörfer. Die Bezeichnung Wendland war seit etwa 1700 gebräuchlich für das Gebiet der "Wenden", deren slawische und dravänopolabische Sitten und Gebräuche sich auffällig von denen der Nachbarregionen unterschieden und das sich etwa mit dem Gebiet des heutigen Landkreises Lüchow-Dannenberg deckt. An Ortsnamen wie Proitze, Waddeweitz oder Meuchefitz erkennt der von Westen kommende Reisende "Hier muss das Wendland sein".
Wenn man heute eine Landkarte mit den Hauptachsen der Verkehrswege betrachtet, sieht man im Gewirr der Autobahnen zwischen Hamburg und Berlin eine große weiße Fläche. Hier liegt das Wendland, so entrückt vom sonstigen Weltenkarussell wie eh und je. Über viele Jahrhunderte lag das Gebiet am Rand von Herrschaftsbereichen, war wirtschaftlich unbedeutend und bot wenig Anlass erobert zu werden. Die Industrialisierung ist am Wendland vorbeigezogen. Der zeitweilige Wohlstand, den sich das Wendland mit dem Flachsanbau und der Leineweberei erwirtschaftete, ging wieder flöten, als der mechanische Webstuhl im Rest der Welt Einzug hielt.
Die Rundlingsdörfer entstanden ab 1150 aus jeweils wenigen Hofstellen und verdichteten sich allmählich durch Erbteilung. So kam es, dass bei Bränden schnell das ganze Dorf in Schutt und Asche gelegt wurde. Dennoch muss sich diese Anordnung für die Bewohner als so vorteilhaft oder wünschenswert erwiesen haben, dass die meisten Dörfer nach solchen Katastrophen in kurzer Zeit im selben Stil wieder aufgebaut wurden.
Heute ist man hier froh um jeden Vorbesitzer, der so arm war, sein Gehöft nicht abzureißen und gegen einen Neubau zu ersetzen. Die "Rübenburgen" genannten villenartigen Häuser der Gutsbesitzer aus dem 19. Jahrhundert, die mit Zuckerrübenanbau zu Wohlstand gelangten, sind zwischen den traditionellen Fachwerk-Hallenhäusern noch wohlgelitten. Was schmerzt, sind die Bauten aus den 60er und 70er Jahren, die entweder ganz an die Stelle des altehrwürdigen Haupthauses traten oder, wenn das Geld dafür nicht reichte, das erneuerte Erdgeschoss unter einem Fachwerkgiebel bilden. So mancher Neubesitzer mit Sinn für die historische Architektur hat sich bemüht, dem Gebäude wieder ein ansehnliches Gesicht zu geben.
Die dravänopolabische Sprache der früheren Siedler ist längst ausgestorben. Das hier auch ehemals verbreitete Platt wird heute wieder belebt und gepflegt, ebenso die wendländische Tracht und die traditionellen Tänze durch den Trachtenverein Öwerpetters.
Seit der Flüchtlingswelle nach dem zweiten Weltkrieg wird das Wendland von Zugewanderten geprägt. Besonders die Neuwendländer, die im Zuge des Widerstands gegen das atomare Endlager kamen, viele Kreative, Intellektuelle und Natursucher aus den Großstädten, haben das Gesicht und die Kultur der Region tiefgreifend und nachhaltig verändert.
Ein im Landkreis beliebtes Fest, das an rheinische Karnevalsumzüge erinnert, ist das Böseler "Buerbeerfest". Tatsächlich ist dieser Festumzug, der jedes Frühjahr mit großem vorbereitendem Einsatz der Dorfbewohner übers ganze Jahr hinweg begangen wird, kein folkloristischer Import, sondern geht zurück auf einen alten heidnischen Fruchtbarkeitsritus, der seit Jahrhunderten begangen wird. Als die Bewohner einstmals auf das Fest und die damit einhergehende Opferfeier verzichteten, wurde promt die ganze Saat durch Hagel zerstört. Seit damals kann sich die Region zuverlässig jedes Frühjahr an den frechen Umzugswagen, phantasievollen Kostümen und opulenten Bieropfern erfreuen.
Ein waschechter Import aus Bayern allerdings hat sich in kurzer Zeit einen festen Platz unter den beliebtesten Events im Wendland erobert: Das Oktoberfest. Die auch hier traditionelle Lust am Biergenuss mag der Antrieb dafür sein, dass an mittlerweile zwei Festwochenenden die großen Zelte zur Wendland-Wiesn restlos von ausgelassen Feiernden in Lederhosen und Dirndl belebt sind.
Die wachsamen alten und neuen Wendländer, vernetzt in der Bürgerinitiative Umweltschutz und der Bäuerlichen Notgemeinschaft sowie einem Heer von kreativen und einsatzfreudigen Mitstreitern, wenns drauf ankommt, sorgen dafür, dass es im Wendland noch lange etwas zu feiern gibt.